移行とずれた Ikoo und Zureta
Sieben Jahre künstlerisches Wechselspiel zwischen Wien und Tokyo. Ein Ausblick und eine Zusammenfassung von Michael Schneider
Am 17. März 2015 wird im Wiener Heiligenkreuzer Hof die Ausstellung „ずれた Zureta“ eröffnet, am Tag darauf gibt es ein Um:Druck-Gespräch im Künstlerhaus Wien – ein Anlass, die seit 2008 etablierten intensiven Kooperationen zwischen der Universität für angewandte Kunst Wien und der Tokyo University of the Arts im Bereich Druckgrafik zu betrachten.
„ずれた Zureta“ (wörtlich: verschoben) ist der japanische Ausdruck für einen Fehldruck, einen Druck, bei dem das Verrutschen einer oder mehrerer Platten ein unerwartetes Ergebnis zeitigt. Das ist meist Ursache für Ärger, manchmal aber auch für positive Überraschungen. Diese kleinen Fehler oder unerwarteten Ergebnisse sind immer wieder der Zunder für den Funken der Inspiration. „ずれた Zureta“ steht hier für Verschiebungen im technischen Umsetzen von Werken, schlägt aber auch die Brücke zu „Verschiebungen“, die im Zuge des Dialogs mit dem Material und den technischen Herausforderungen in der inhaltlichen Positionierung passieren. Verschiebungen erzeugen oft Zwischenstadien, die sich einer eindeutigen Definition entziehen oder erzwingen Entscheidungen, die im Bereich von erfüllten Erwartungshaltungen nie getroffen werden müssen. Sind die Dinge erst einmal verschoben, stellen sie sich anders dar, erlauben neue Kombinationen, erzeugen neue Bedeutungsfelder und neue Kontexte.
„ずれた Zureta“ ist ein perfekter Ausdruck für einen innovativen Prozess, der sich in fast allen Bereichen des künstlerischen Ausdrucks, wenn auch in unterschiedlicher Ausformung, finden lässt. Dieser Prozess lässt sich in der Druckgrafik allerdings exemplarisch sichtbar machen.
Das Projekt „ずれた Zureta“ nimmt Bezug auf die Notwendigkeit, aus Fehlern zu lernen, und untersucht unterschiedliche Strategien, um aus einem unerwarteten Ergebnis Inspiration für neue Werke und Lösungen zu gewinnen. „ずれた Zureta“ offeriert aber noch einen zusätzlichen Aspekt: Die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der künstlerischen Praxis in Tokyo und Wien – „ずれた Zureta“ begreift und beschreibt dies als dynamischen Prozess. Indem die teilnehmenden 18 Studierenden die Ausstellung als Grundlage eines Austausches über Erfahrungen und Vorgangsweisen konzipieren, ist die Ausstellung selbst nicht der Endpunkt der Zusammenarbeit und Untersuchung, sondern der Beginn.
Schon vor einigen Jahren entstand „ずれた Zureta“ als Projekt an der Tokyo University of the Arts, wo Prof. Miida Seiichiro mit den Studierenden seiner Abteilung den Zustand des durch den Fehler im Herstellungsprozess um- bzw. neu definierten Werkes untersuchte und zum Thema machte. Die Ausweitung dieser Untersuchung auf die Arbeiten von KollegInnen in Wien ist auch der schon seit 2008 etablierten engen Kooperation der beiden Universitäten und der daraus resultierenden Fähigkeit zur intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung geschuldet.
Seit 2008 waren bei verschiedenen Kooperations- und Austauschprojekten über 50 Studierende beteiligt, mehr als 30 davon hatten Gelegenheit, die PartnerInnen im jeweils anderen Land zu besuchen. Das erste Projekt „移行 Ikoo umsteigen“ (Um:Druck Nr. 9/08, S.27) begann 2008 mit einem gemeinsamen Mappenwerk, dessen Verkaufserlös die Reisekosten der beteiligten Studierenden reduzierte und eine Möglichkeit bot, schon aus der Ferne intensiv mit den PartnerInnen vom anderen Kontinent in einen Dialog zu treten. Ein Konzept, dessen Erfolg sich
im Jahr darauf in Ausstellungen in Wien im Heiligenkreuzer Hof und in Tokyo im Ueno Town Art
Museum zeigte. Beide waren nicht nur durch eine raumspezifische Vorgangsweise gekennzeichnet,
sondern entstanden erst in der Zusammenarbeit der teilnehmenden KünstlerInnen am jeweiligen Ort. Spontane Kooperationen, die von Rauminstallationen über Interventionen bis zu Performances reichten, positionierten die druckgrafischen Arbeiten im Zentrum eines interdisziplinären und interkulturellen Dialogs.
Im Österreich-Japan Jahr 2009 gelang es auch, die inoffizielle Partnerschaft der beiden Universitäten in eine offizielle zu verwandeln, sodass seit nunmehr sechs Jahren ein Vertrag zwischen den beiden Institutionen besteht, der den weiteren Austausch von Studierenden und Lehrenden befördert und die Basis für gemeinsame Ausstellungs- und Forschungstätigkeit bietet.
„ずれた Zureta“ ist auch hinsichtlich dieser Perspektiven erweiterbar: Im heurigen Juni wird eine Version der Wiener Ausstellung in Japan gezeigt, bei der die Teilnehmenden ihren in Wien begonnenen Dialog fortsetzen können. In fernerer Zukunft allerdings ist es leicht möglich, das Projekt auch geografisch auszuweiten.
Exemplarisch seien die Arbeiten von Muyi Wang und Tina Greisberger erwähnt, die das Prinzip
„ずれた Zureta“ am besten verdeutlichen. Muyi Wang aus China ist derzeit Doktoratsstudentin in Tokyo und erforscht konsequent die Logik und Bedeutung der Prozesse der Druckgrafik. In ihrer Arbeit spielen Vervielfältigung, Codierung und Informationsfluss eine zentrale Rolle. Wenn sie das Erscheinungsbild von Zeitungen als Holzschnitt realisiert, so bleibt ihr eine Masse an Drucken, die in sich wieder Bedeutung erlangen. Aus der Masse der Fehldrucke wird ein Wert an sich. Wenn Muyi Wang daraus eine Platte formt, eröffnet sie dabei Einblicke in das Innere der Struktur von Information und deren massenhafter Vervielfältigung. Dort ergibt sich ein Moment, an dem durch den Einsatz des Messers neue Ebenen der Bedeutung sichtbar werden. Muyi Wang unterstreicht mit ihrer Arbeit die Bedeutsamkeit des Publizierens und Vervielfältigens und macht dies auch in deren Materialität sichtbar. Dass im Informationsfluss der Fehler eine zentrale Rolle hat und verschlungene Wege die Norm sind, wird hier plötzlich greifbar.
Tina Greisberger hat den Fehler des Computers zum Gestaltungsprinzip ihrer Drucke gemacht. Die Landschaft als Genre ist ein getestetes und etabliertes Feld visualisierter Weltsicht und zeigt daher nie nur die Sicht auf die Landschaft, sondern immer auch die Sicht auf das Verständnis von Landschaft und deren Verhältnis zum Menschen. Wenn unsere digitalen Mittel, Bilder zu verarbeiten und portabel zu machen, versagen, wird die Kodierung der Information plötzlich sichtbar, werden wir gewahr, wie sehr wir unsere Idee von Realität an deren Simulation
angenähert haben. Wenn also Tina Greisberger den Rechenfehler in der PDF-Kodierung zum Gestaltungsprinzip macht, werden ihre Siebdrucke nicht nur zur Dokumentation einer Verschiebung von Bits und Bytes, sondern auch zu einer Annäherung an eine gegenwärtige Sicht auf die Realität.
Die Ausstellung „ずれた Zureta“ in der Sala Terrena im Heiligenkreuzer Hof (1010 Wien, Grashofgasse 3/Schönlaterngasse 5) wird am 17. März um 18 Uhr eröffnet und ist bis Ende April zu sehen. Gezeigt werden Arbeiten von Kenji Agata, Renata Darabant, Raphael Eiloff, Julia Geissler, Stephan Genser, Tina Greisberger, Aila Umezawa Hilario, Magdalena Kreinecker, Antonio Neto, Alberto Nieto, Nao Osada, Daniel Pfauth, Fernando Saiki, Kazuki Sakai, Muyi Wang, Ting Ting Wang, Marina Watanabe, Tomoko Watanabe und Minami Yoshimura. Betreut wird das Projekt von Prof. Miida Seiichiro, Tokyo University of the Arts, und Priv.Doz. Michael Schneider, Universität für angewandte Kunst Wien.
Am 18. März um 16 Uhr findet im Künstlerhaus (1010 Wien, Karlsplatz 5) ein Um:Druck-Gespräch zur Ausstellung mit Prof. Dr. Philipp Maurer, Prof. Miida Seiichiro, Priv.Doz. Michael Schneider und den Studierenden aus Tokyo und Wien mit anschließendem Empfang in der Sala Terrena statt.