Willkommen im Holzschnitt-Universum
Über die Bedeutung des Holzschnittes für den Paradigmenwechsel der Kultur der Gegenwart.
Von Michael Schneider
Betrachtungen über den Holzschnitt sind meist geprägt von historischen Überblicken und Verknüpfungen, es sind Darstellungen mit einem Hauch von Abgeschlossenheit. Oft wird er als Medium bestimmter Zeiten und Schichten gesehen, diskutiert und nachgezeichnet. So erscheint die Geschichte des Holzschnittes als eine Aneinanderreihung isolierter Phänomene. Einer frühen Blüte nach seiner Erfindung folgt die Verdrängung durch jüngere Techniken; marginalisiert und als Illustration verwässert verliert er immer mehr an Bedeutung. Die ursprüngliche Verwendung als Propaganda-Medium religiöser Strömungen verschafft ihm später ein neues Leben als bevorzugtes Sprachrohr sozialkritischer Intentionen. Auf der Suche nach der Kraft der direkten, ursprünglichen, emotionalen Ausdrucksform fanden ihn die Expressionisten. Unweit dieser Hauptinseln lassen sich kleinere Holzschnitt-Archipele entdecken und ganz weit draußen im Meer der bildenden Kunst gibt es ein paar vulkanische Aktivitäten, die immer wieder neue kleine Inseln und Inselgruppen schaffen.
Diese Sichtweise wird jedoch der Bedeutung des Holzschnittes für die Gegenwartskultur nicht gerecht. Das mit dem Buchdruck geschaffene Gutenberg-Universum, der Raum unserer Schriftkultur unterliegt fundamentalen Transformationen. Die Leitfunktion der Schrift in der unserer Kultur zugrunde liegenden Kommunikation ist dabei, auf das Bild überzugehen. Dies resultiert aus neuen semiotischen Strukturen des Informationsaustausches, neuen Mustern und Kanälen, neuen Missverständnissen und Einsichten und generiert ebensolche. Die Kommunikation in Bildern ist geprägt von größerer Ambivalenz, Emotionalisierung und Überschreitung sprachlicher Barrieren.
Der wachsende Einfluss der visuellen Kultur ist auch für die fortschreitende Globalisierung von Bedeutung. Bilder schaffen Verständnis, über Sprachgrenzen hinweg. Gleichzeitig macht die intensivierte Vermittlung von Inhalten durch Bilder die Untersuchung der Mechanismen dieser Kommunikation notwendig. Bislang ist unser Bildungssystem für diese Aufgaben nicht ausgebaut. Es stellt sich auch die Frage, ob dies in nächster Zeit geschehen wird können.
Was jetzt schon sichtbar geworden ist, ist eine verstärkte Verwendung des Holzschnittes als bevorzugtes Medium von KünstlerInnen weltweit. Nach einer Phase der Hinwendung zu neuen Medien, im Wunsch, Kunst zur Publikation zu schaffen, ist er zu neuer Beliebtheit gelangt. Messen, Großausstellungen, Publikationen zeigen dem interessierten Beobachter einen signifikanten Anstieg der Anzahl präsentierter Holzschnitte.
Keine zufällige Renaissance in Anbetracht der Tatsache, dass der Holzschnitt der Beginn der visuellen Kultur, wie wir sie kennen, ist. Was der Buchdruck für die Schriftkultur ist er für die visuelle Kultur. Er ist das geeignete Feld zu Analyse, Kritik, Dekonstruktion und Neudefinition der Strukturen und Mechanismen der visuellen Kommunikation unserer Zeit. Er ist geeignet, als Laboratorium unserer visuellen Kultur zu dienen. Dort können die Experimente durchgeführt werden, die das gesamte Bilduniversum, das Holzschnitt-Universum erschließen.
(Vom Autor und der Xylon Österreich genehmigter Vorabdruck aus dem Katalog "Xylon 0809", der anlässlich der Xylon Jahresausstellung 2008 erscheint. Die Ausstellung wird vom 3. Juli bis 7. September 2008 im Ursulinenhof in Linz und vom 19. September bis 12. Oktober 2008 im Palais Lichtenstein in Feldkirch gezeigt, 38 Xylon-Mitglieder nehmen daran teil.)