Das Ende der Druckgraphik - Eine Betrachtung ohne Rückblick
Es könnte tatsächlich soweit sein. Das so of verkündete Ende der Druckgraphik könnte nun gekommen sein. Hinlänglich bekannt ist die Vorstellung, dass alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende haben muss. Alt ist die Druckgraphik und warum sollte etwas Altes nicht sein Ende finden. In guter Gesellschaft wäre die Druckgraphik auch. Die Malerei, die Bildhauerei, die Oper, die Musik, ja die ganze Kunst ist schon für tot erklärt worden, schien schon so gut wie end-gültig.
Von Michael Schneider
Das Ende der Druckgraphik scheint aber besonders nah und real zu sein. In Österreich bereitet man sich schon darauf vor. In einer Vorsorglichkeit, die zu erstaunen vermag, agiert man in Österreich. Vielleicht, um beim Begräbnis die besten Plätze zu ergattern. Die Albertina sieht die Druckgraphik als historisch angewachsene Altlast und wurde zu allem Überdruss zusätzlich mit der Sammlung des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste belastet, das in der Akademie keinen Platz und keine Legitimation mehr gefunden hatte. Nur noch in kleinen privaten Initiativen wird gegen das offensichtliche Ende der Druckgraphik in Österreich angekämpft.
Zumeist ist Österreich internationalen Entwicklungen etwas hintan. Selbstredend finden sich auf allen Gebieten und Entwicklungen immer wieder ÖsterreicherInnen, die entgegen dem Trend Pioniere und Avantgardisten sind, dies jedoch oft unbemerkt. Dieser temporäre Abstand zu den Pionieren, diese Distanz hat ihre guten Seiten. Extremismen aller Art können vermieden werden und gelegentlich gelingt es, aus den Fehlern der anderen zu lernen. Die schnellste Lösung eines Problems ist nicht immer die beste. Österreich ist auch in der internationalen Entwicklung im Bereich der Druckgraphik hintan geraten und verabsäumt es leider, das Beste aus dieser Situation zu machen. Es gäbe einiges zu lernen aus den Fehlern der anderen und genügend Möglichkeiten, zu besseren Lösungen zu kommen.
Die wichtigste Erkenntnis, die sich aus der Betrachtung der internationalen Entwicklungen gewinnen lässt, ist die, dass der Glaube an die Endzeit der Druckgraphik in gleichem Maße irrig ist wie bislang religiöse Verkündigungen gleichen Inhalts. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Druckgraphik erweist sich als lebendiger denn je zuvor.
Die Druckgraphik ist heute das umfassendste Medium der bildenden Kunst. Die Druckgraphik, aus dem Wunsch nach Publikation entstanden, wird erst heute als bestimmender Faktor in der Entwicklung unserer visuellen Kultur verstanden. Was der Buchdruck für die Schriftkultur bedeutet, ist der Holzschnitt für die Bildkultur. Optimierte Druckverfahren, TV, digitale Medien, internationale High-Speed-Kommunikationsnetzwerke und die Omnipräsenz des graphikfähigen Displays haben zu einem kulturellen Paradigmenwechsel geführt. Heute ist es die Bildkultur, die in einem globalisierten Kontext eine kulturelle Leitfunktion übernommen hat. Kommunikation mittels Bildern, die Domäne der Druckgraphik, hat nicht nur in Bereichen der Unterhaltung, der Mode oder der Werbung die Bedeutung der Schrift überflügelt, auch die Politik kommuniziert heute verstärkt in Bildern.
All diese Bereiche der visuellen Kommunikation bedienen sich des Wissens und des Talents von SpezialistInnen, die sich der nachhaltigen emotionalen und manipulativen Kraft der Bilder, ihrer hypnotischen Kraft, ihrer Ambivalenz und ihrer Fähigkeit, in den Köpfen der SeherInnen Realitäten jenseits der Überprüfbarkeit zu schaffen, voll bewusst sind. Die Macht der Bilder, erkannt von StrategInnen, hat zu einem Kampf um das Bild geführt. Der Begriff des Image fasst ins Wort, was Worte nicht mehr zu beschreiben vermögen. Das Image bestimmt unsere Kultur. Das Image von Personen, Firmen, Institutionen, Ideologien, Religionen, ja schon simpler Ideen bestimmt die Wahrnehmung derselben. Mit der Bedeutungszunahme des Image ersetzt gefühlter Inhalt sprachlich definierten und diskutierten. Bildende Kunst, die sich in ihrer Entwicklung in den letzten 70 Jahren weit über das Bild entgrenzt hat, sieht sich in ihrer Substanz, der Kreation und Diskussion, in ihrer Fähigkeit zur Entwicklung und Definition des Bildes an sich immer mehr von der Übermacht der publizierten visuellen Kommunikation gefordert.
Die Druckgraphik, nostalgischer Einschränkungen entledigt, die aus der Not technischer Entwicklungen im Rahmen der künstlerischen Praxis und der Verfügbarkeit der produktiven Mittel entstanden, ist das Instrument der Wahl für das 21. Jahrhundert. Beginnend mit der Verbreitung der Mittel zur Erstellung und Publikation digitaler Druckgraphik, der Verfügbarkeit von graphikfähigen Computern und Druckern zeigt sich eine eine grundsätzliche Redefinition von Druck und DruckgraphikerInnen. Die Anzahl der DruckgraphikerInnen ist heute höher als je zuvor. Die Zahl der DilettantInnen der Druckgraphik steigt stündlich. Mächtige Werkzeuge in Form von Soft- und Hardware erlauben es, fast hürdenfrei zu gestalten und zu publizieren, schnell und in bester Qualität. Vielen dieser DruckgraphikerInnen ist ihr Tun als solche gar nicht bewusst. Ebenso wie den NetzkünstlerInnen von heute ihr Tun als DruckgraphikerInnen nicht bewusst ist, und wir schon fast vergessen haben, dass das am meisten gesammelte Kunstobjekt der Welt ebenso eine Druckgraphik ist. Auch wenn inzwischen Geld als reine Verrechnungseinheit an Bedeutung gewonnen hat, so ist es doch immer noch der Geldschein, das gedruckte Wertpapier, das den begehrten Wert am besten zu zeigen vermag.
Geld ist vielleicht das beste Mittel zur Beschreibung der Situation der Druckgraphik. Auch wenn die Druckverfahren sich entwickelt haben, Tiefdruck, Prägung und Wasserzeichen sind immer noch wichtigster Ausdruck der Werte. Auch wenn Geld digital wird, denken wir es als Druck. Die Ikonographie des Geldes, die historische und künstlerische Bedeutung der Scheine, der symbolische Wert des Bildes vom Geld, all diese Themenfelder lassen sich auch auf die publizierte Kunst der Druckgraphik anwenden. Der Versuch der Notenbanken, immer bessere Verfahren zur Herstellung zu verwenden, spiegelt sich im Bestreben der KünstlerInnen, die Möglichkeiten, die durch die technische Entwicklung entstanden sind, zu ihrem Vorteil zu nutzen.
DruckgraphikerInnen stehen heute so viele neue Materialien und Verfahren zur Verfügung, dass bisweilen der Sammler und Liebhaber Schwierigkeiten hat, sich in der angewachsenen Menge an Begriffen und Beschreibungen zu orientieren. Manche Werke entziehen sich einer monetären Bewertung. Auch unlauterer Praxis öffnen sich Möglichkeiten. Im wachsenden Feld der Druckgraphik und angesichts der Fülle der Möglichkeiten und Ausdrucksformen - seien es neue Techniken wie der Polymerdruck oder die Polyester-Lithographie, seien es der Einsatz von PDF als Mittel zur Distribution von Graphiken zum Selberdrucken, seien es Methoden zum dreidimensionalen Druck oder die Ausgabe der Werke als Licht auf Schirmen oder Displays - steckt mehr Leben denn je. Wenn das Erleben virtuell wird, so wird es die Druckgraphik auch.
Zu danken ist allen, die sich von verfrühten Nachrufen nicht beeindrucken lassen, sondern offen sind, aus den sich ändernden Formen zu schöpfen. Die internationale Entwicklung zeigt, dass die Druckgraphik vielstimmiger und vielschichtiger als gemeinhin angenommen ist und dass sie das bevorzugte Ausdrucksmittel kommender Generationen von KünstlerInnen und Kreativen sein wird. Es tut not im Land, jetzt die Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre zu revidieren und Schritte zu setzen, damit die Möglichkeit gewahrt wird, die reiche Tradition der Druckgraphik, die Österreich besitzt, mit gegenwärtigem Schaffen von ebensolcher Bedeutung fortzusetzen.
Die Unterstützung der Druckgraphik ist aber nicht nur ein altruistisches Bemühen, sie bietet die Möglichkeit, ein Labor der publizierten Kunst zu erhalten - Raum, in dem mit den Elementen der visuellen Kultur experimentiert werden kann. Die Druckgraphik wird wohl in Zukunft der Ort sein, an dem die Strukturen und Methoden der visuellen Gestalter, die im Dienste wirtschaftlicher, ideologischer oder religiöser Interessen stehen, analysiert, kritisiert, dekonstruiert und eventuell renoviert werden können. Die Druckgraphik als Innovatorin der Verhältnisse der Menschen zum Bild ist heute zu bedeutend, als dass es akzeptabel wäre, in den Abgesang derer einzustimmen, die der Dynamik der Entwicklung zu weit hinterher hinken.
Das Jahr 2007 hat einen begrüßenswerten Schritt zur Rückbesinnung auf die Bedeutung der Druckgraphik gebracht. Die Kooperation des Künstlerhauses mit der Triennale Kraków - die Ausstellung "Print", eine Präsentation des internationalen Projektes "Further" basierend auf dem Buch "Printmaking at the Edge" von Richard Noyce - der Schwerpunkt "Druckgraphik", der sich einen Monat lang in Wien etablieren konnte, ist ein Fingerzeig und die Bestätigung, dass auch im Fall der Druckgraphik eine Totgesagte quicklebendig ist.
(Genehmigter Nachdruck aus: Österreichisches Jahrbuch für Exlibris und Gebrauchsgrafik, Band 65, 2007-2008, S. 69-103; ISBN 3-9500800-3-1)